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Literaturwissenschaftsseminare > Puritanismus > 4 Die Anderen

Literatur und Kultur des Puritanismus

Kurzzusammenfassung zur Seminarnachbereitung
Veranstaltung im Kontaktstudium der Universität Hamburg im Wintersemester 2020/21 (online)

 

4 Konfrontation: Die Puritaner und „die Anderen“

Gruppenbildung erfolgt in der Regel über zwei Mechanismen:

  1. Suche nach Gemeinsamkeiten -> Bildung einer peer group (= Gruppe Gleichgesinnter) -> Verein, Gemeinde etc.
  2. Suche nach Unterschieden -> die Abgrenzung von anderen stärkt das Gemeinschaftsgefühl der peer group, schafft aber auch potenzielle Feindbilder

 

Abb. 1 Gruppenbildung vollzieht sich i.d.R. im ersten Schritt als Suche nach Gleichgesinnten (li.). Probleme können entstehen, wenn Nicht-Gruppenmitglieder in einem zweiten Schritt zu Feindbildern umgedeutet werden (re.). Grafik: KL

 

KONFLIKT 1: Der „Andere“ innerhalb der puritanischen Gemeinschaft

Die verschiedenen neuenglischen Kolonien strebten nach Einheit, führten aber gleichzeitig eigene Legislativen, Judikativen und Exekutiven ein (Einheit vs. Gleichförmigkeit). Ihre gemeinsamen Ziele waren erstens die Errichtung einer (wirtschaftlich und sozial) funktionierenden Gemeinschaft, zweitens die Errichtung eines göttlichen Königreiches. Ein Problem erwuchs daraus in dem Moment, in dem es innerhalb der puritanischen Gemeinschaften unterschiedliche Auffassungen über den Stand bzw. den Fortschritt dieser Bestrebungen gab. Wir haben uns dazu einen kurzen biografischen Eindruck von zwei Personen dieser Zeit verschafft.

Anne Hutchinson, geb. Marbury (1591-1643)

Anne Hutchinson war Theologin und Autorin. Sie übersiedelte 1634 mit ihrem Mann unter dem religiösen Führer John Cotton in die Massachusetts Bay Kolonie. Dort leitete sie schon bald gemischtgeschlechtliche Gruppen, in den die jeweils zurückliegenden Predigten diskutiert und auch Kritik an den puritanischen Lehren geübt wurde. Beispielsweise verneinte Hutchinson das Vorhandensein verbindlicher Anzeichen für die göttliche Erwählung (Erweckung), war aber davon überzeugt, dass Erwählte einander gegenseitig erkennen können. Auf diese Weise beförderte sie die Entwicklung einer Gruppe „echter Erwählter“ innerhalb der Erwählten. Der Gedanke der Erwählung geht bei Hutchinson mit dem Ablegen der weltlichen Person einher, eine These, die Männer wie Frauen aus ihren vorgeschriebenen Geschlechterrollen lösten und eine besondere Anziehungskraft auf Frauen hatte, die sich vor diesem Hintergrund, wie Hutchinson selbst, leitende Funktionen ausfüllen konnten, die sonst Männern vorbehalten waren.

Hutchinsons Ideen wurden als „Störung der öffentlichen Ordnung“ aufgefasst, 1637 endete ein Prozess gegen sie mit dem Gemeindeausschluss und der Verbannung, welche u. a. mit der für eine Frau als unangemessen empfundenen Leitungsfunktion in den Diskussionsgruppen begründet wurde. Nach dem Urteil zogen Hutchinson und ihr Mann nach Rhode Island, wo sie die Siedlung Portsmouth gründeten. 1642 verstarb Hutchinsons Ehemann, und sie zog in die Nähe des heutigen New York, wo sie etwa ein Jahre später mit ihren Kindern bei einem Überfall durch Native Americans ums Leben kam.

Roger Williams (~1603-1683)

Der Theologe, Priester und Autor Roger Williams kam 1630 im Zuge der Great Migration nach Neuengland. Nachdem er auf ein Priesteramt in Boston verzichtet hatte, wurde er 1631 in der Plymouth Kolonie aufgenommen, wo William Bradford notierte, dass Williams‘ Predigten in der Gemeinde „sehr gut aufgenommen“ würden. Nach einer Weile proklamierte Williams, dass die Kolonien sich nicht deutlich genug von der von ihm als korrupt und verdorben empfundenen englischen Kirche abgrenzen würden. Aus diesen und anderen Überzeugungen resultierte ein mehrjähriger, eskalierender Streit zwischen Williams und der puritanischen Gemeinde. Williams setzte sich darüber hinaus vehement für religiöse Freiheit, die Trennung von Kirche und Staat und einen fairen, respektvollen Umgang mit den Natives ein. Er gilt als einer der ersten Abolitionisten. Im Oktober 1635 endete ein gegen ihn geführter Prozess mit dem Bannspruch. Williams floh daraufhin zu den Natives, mit denen er in den vergangenen Jahren ein gutes Verhältnis aufgebaut hatte. 1636 gründete er auf einem von ihnen erworbenen Gelände die Siedlung Providence Plantations.

1643 veröffentlichte Williams ein Wörterbuch der Narragansett-Sprache. Vier Jahre später erreichte er die Vereinigungen der vier Siedlungen rund um Narragansett Bay: Providence, Warwick, Portsmouth und Newport. Mitte der 1670er Jahre wurde Providence in den Unruhen des King Philip’s War zerstört. Williams starb 1683.

 

KONFLIKT 2: Der „Andere“ als Gegenüber: die Native Americans

Die ersten Jahre in der Neuen Welt waren nach der Ankunft der Pilgerväter offenbar von Frieden und gegenseitiger Achtung geprägt. Edward Winslow schreibt dazu in Mourt‘s Relation:

„We have found the Indians very faithful in their Covenant of Peace with us; very loving and ready to pleasure us […] Some of us have been fifty miles into the country by land with them. There is now great peace amongst us; and we, for our parts, walk as peaceably and safely in the woods here as in the highways in England.“

Dann bedrohen jedoch zwei Entwicklungen diese Situation: Erstens strömen ab 1630 im Zuge der Great Migration zahlreiche weitere Siedler nach Neuengland, mit der Folge, dass das Land schnell knapp wird. Zweitens erfolgt eine verstärkte Rückbesinnung auf die Idee der Erwähltheit und damit die Idee der göttlichen Vorsehung, die den Siedlern das Land explizit zu ihrem Nutzen zugedacht habe. In Predigten entstehen aus diesen Gedankenwelten Licht-Dunkel-Metaphern, die sich schnell zu einem Gut-Böse-Dualismus weiterentwickeln, welcher die Siedler auf der lichten, guten Seite Gottes sieht, während die Natives zu Agenten der Dunkelheit und des Bösen werden.

Die Verschmelzung des materiellen Bedarfs (nach mehr Land) und des spirituellen Auftrags (Verbreitung des puritanischen Glaubens und Schaffung eines Gotteslandes) entwickeln eine problematische Eigendynamik, die das fragile System zum Kippen bringt und befördert, dass (religiös) Andersdenkende (Natives) als Verkörperungen des Bösen identifiziert werden. Die Predigten dieser Zeit stilisieren den „Kampf gegen die Mächte Satans“ zu einem göttlichen Handlungsauftrag, der kriegerische Handlungen sanktioniert. Diese neue Sichtweise führt 1636-38 zum Pequot-Krieg und mündet schließlich 1675-76 in den King Philip‘s War. (Beide Auseinandersetzungen wurden im Seminar besprochen.)

 

KONFLIKT 3: Der „Andere“ als Ergebnis einer massenhysterischen Wahnvorstellung?

1692 fanden die berühmten Hexenprozesse von Salem statt: Sie resultierten in rund 200 Anzeigen, in denen Menschen der Hexerei bezichtigt wurden, 150 Verhaftungen und 55 unter Folter erpressten Geständnissen. Zuvor hatte es nur vergleichsweise wenige Hexenprozesse in der Neuen Welt gegeben. Doch durch ein allgemeines Gefühl der Bedrohtheit und die wöchentlichen Predigten, die sich zunehmend auf den erforderlichen Kampf der Puritaner gegen die „Sendboten Satans“ konzentrierten, wurden Hexen zu einem prominenten und überzeugenden Feindbild.

1689 wurde der Erweckungsprediger Samuel Parris Leiter der streng puritanischen Gemeinde von Salem. Im Winter 1691/92 fielen seine Tochter Elizabeth und seine Nichte Abigail Williams durch seltsames Verhalten auf: ihre Sprache war verwirrt, häufig bewegten sich ihre Körper wie fremdgesteuert, und die Mädchen verkrochen sich unter Tischen. Nachdem eine medizinische Klärung nicht gelang, vermutete der Arzt William Griggs eine Besessenheit. Parris griff diesen Gedanken in seinen Predigten auf. Schon bald fielen weitere Mädchen durch sonderbares Verhalten auf, berichteten von Annäherungsversuchen Satans und Hexenheimsuchungen, weil sie sich diesem verweigert hätten. Und sie beschuldigten Gemeindemitglieder der Hexerei: Die verängstigte Dorfgemeinschaft ebenso wie die Geistlichen glaubten den Vorwürfen. Im März 1692 folgten die ersten Verhaftungen, im September fanden die letzten Hinrichtungen statt. Der letzte Prozess endete im Mai 1693. Über die Ursache dieser Vorgänge herrscht in der Forschung keine Einigkeit: Manche proklamieren eine Mutterkornvergiftung als Grund für das auffällige Verhalten der Mädchen, doch die Zahl der Anschuldiger wurde über das Jahr 1692 immer größer. Erklärbar wäre dies ggf. psychologisch als eine massenhysterische Wahnvorstellung, in deren Verlauf sich anfängliche Angstbilder verselbständigen und eine sich selbst verstärkende Eigendynamik entwickeln. Auch Neid und Missgunst unter den Mädchen und mit Blick auf die beschuldigten Gemeindemitglieder sowie Geltungssucht werden in der Forschung als Ursachen diskutiert.

 

⇒ 5 Literatur, Kunst und Ausdruck