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Literaturwissenschaftsseminare > Dichtkunst > 6 Von der Antike bis in die Moderne

Streifzug durch die Dichtkunst
Begegnungen mit Blake, Goethe, Tennyson, von Droste-Hülshoff u. a.

Kurzzusammenfassung zur Seminarnachbereitung
Veranstaltung im Kontaktstudium der Universität Hamburg im Sommersemester 2022 (online)

 

6 Von der Antike bis in die Moderne

Zum Abschluss des Seminars haben wir sieben Gedichte aus verschiedenen Ländern und unterschiedlichen Epochen gelesen und besprochen, um noch einmal dem Vielklang der dichterischen Stimmen zu lauschen.

Das Alte Ägypten, 14. Jh. v. Chr.

Am Anfang der Textauswahl standen zwei Texte aus dem Pharaonenreich: „Der Große Sonnengesang“, ein Gotteslobpreis, vermutlich verfasst von dem später als Ketzerkönig verfemten Pharao Echnaton, und das Liebesgedicht „Hinunter segele ich auf dem ‚Kanal des Prinzen‘“.

Echnaton war ein altägyptischer Pharao der 18. Dynastie (der ersten Dynastie des sogenannten Neuen Reiches) und Sohn von Amenophis III., einem der einflussreichsten Pharaonen des Alten Ägypten. Verheiratet war Echnaton mit Nofretete, deren hervorragend erhaltene Büste bis heute beeindruckt. Das Paar hatte sechs gemeinsame Töchter. DNA-Analysen aus dem Jahr 2010 legen nahe, dass auch Tutanchamun, der Kindkönig, dessen goldene Totenmaske heute ein ikonisches Symbol für das Alte Ägypten ist, ein leiblicher Sohn Echnatons war. Der durch Echnaton eingeführte Aton-Kult wird weitgehend als erster Monotheismus der Menschheitsgeschichte betrachtet. Diese monumentale Umwälzung des altägyptischen Glaubenssystems ging mit einem politisch-wirtschaftlichen Niedergang des Landes einher, möglicherweise als Folge einer zu starken Konzentration des Herrschers auf seine religiösen und kultischen Aufgaben. Der Aton-Kult endete (kurz) nach Echnatons Tod, und Ägypten kehrte zu den alten Göttern zurück. Aus Echnatons Regierungszeit stammt der von uns im Seminar besprochene Hymnus, dessen Autorschaft dem Pharao selbst zugeschrieben wird und dessen feinfühlige, eindringliche Formulierungen und dessen leidenschaftlicher Gotteslobpreis in deutlich jüngeren christlichen Texten wie z. B. Psalm 104, „Loblied auf den Schöpfer“, und Franz von Assisis „Lied der Schwester Sonne oder Lob der Schöpfung“ nachklingen.

Das anonyme Liebesgedicht „Hinunter segele ich auf dem ‚Kanal des Prinzen‘“ ist im Papyrus Harris 500 überliefert und stammt vermutlich aus der Zeit zwischen 1200 und 1100 v. Chr. Der Text schildert einfühlsam die glückstrunkenen Vorbereitungen einer jungen Frau auf die ersehnte Zweisamkeit mit ihrem Geliebten. Er ist ein eindrucksvolles Beispiel für die auch emotionale Ausdruckskraft altägyptischer Literatur, die in anderen Genres häufig eher distanziert und analytisch anmutet.

 

England, Mittelalter, 1803 und 1830

Im Anschluss an das Alte Ägypten haben wir drei Texte aus England besprochen. Der erste Text, „Lord Randal“, hat seinen Ursprung vermutlich im Mittelalter und wurde zunächst in oraler Tradition überliefert. Dies erklärt z. T., warum es verschiedene Textfassungen gibt, denn die Geschichte wurde von Ort zu Ort mit leichten Unterschieden erzählt bzw. die Sänger passten die Texte auch an ihre persönlichen Vorlieben an. „Lord Randal“ steht am Anfang der Zeit der Balladendichtung, als diese noch primär ein Unterhaltungsmedium war. Fahrende Sänger trugen die Geschichten abends in Wirtshäusern oder anderen Lokalitäten vor. Dazu war eine hohe Memorisierbarkeit der vorgetragenen Texte wichtig sowie ggf. inhaltliche Anpassungen an das jeweilige Publikum. Wiederholungen und eingängige Refrains sind ein weiteres wichtiges Strukturmerkmal dieser frühen Balladendichtungen, die inhaltlich vor allem auf einen einfachen, aber hohen Spannungsbogen, eine starkes Maß an Emotionalität und möglichst viele Anknüpfungspunkte für die Zuhörer setzten.

1803 erschien das Gedicht „Auguries Of Innocence“ des englischen Dichters, Naturmystikers und Malers William Blake (1757-1827). Zu Lebzeiten weitgehend ignoriert bzw. offen abgelehnt, fand Blakes Werk erst nach seinem Tod Anerkennung, insbesondere durch die einflussreiche Gruppe der Präraffaeliten, durch welche es später sogar Eingang in die Popkultur fand. Heute gilt Blake als Schlüsselfigur für das Verständnis der Poesie und Kunst der Romantik sowie auch das der anschließenden Epochen. Oft wird aus „Auguries Of Innocence“ nur die erste Strophe zitiert, die wir auch im Seminar besprochen haben. Blake verknüpft darin auf eindrucksvolle Weise Beobachtungen des Großen und des Kleinen und bezieht dabei sowohl Zeit als auch Raum in seine Überlegungen ein.

1830 veröffentlichte Alfred Lord Tennyson das Gedicht „Nothing Will Die“. Tennyson gilt als einer der Hauptvertreter des Viktorianismus, seine Texte kreisen oft um mythologische und geschichtliche Themen, z. B. den Artussagenkreis in „The Lady of Shalott“ und historische Stoffe wie „The Charge of the Light Brigade“. 1850 wurde er von Königin Victoria zum Poet Laureate ernannt. Das zentrale Thema von „Nothing Will Die“ ist der Gegensatz von Tod und Wandel, wobei ersterer als Stillstand verstanden wird, der jedoch nach Ansicht des lyrischen Ichs in der umgebenden Natur, die seiner Beobachtung zufolge in einem ständigen Wandlungsprozess begriffen ist, gar nicht vorkommt. Das lyrische Ich schließt daraus, das es einen klassischen Tod gar nicht gäbe.

 

USA, 1842

1842 veröffentlichte der Schriftsteller, Lyriker, Übersetzer und Dramatiker Henry Wadsworth Longfellow (1807-1882) sein Gedicht „Mezzo Cammin“. Zusammen mit Oliver Wendell Holmes Sr., William Cullen Bryant, John Greenleaf Whittier und James Russell Lowell gehörte er zur Gruppe der viel gelesenen Fireside Poets, deren Themen vor allem um die Begriffe der Heimat und der Moral kreisten. Kritiker setzten an seinen Texten aus, dass sie zu europäisch, konventionell und sentimental gestaltet seien, weswegen diese nach 1900 nicht mehr Teil des US-amerikanischen Literaturkanons waren. Longfellows bekanntestes Werk ist vermutlich das auf historischen Personen und Ereignissen beruhende epische Gedicht „The Song of Hiawatha“ (1855).

„Mezzo Cammin“ ist in Form eines italienischen Sonetts geschrieben, eine passende Wahl, da der Titel und besonders auch die erste Zeile sich auf Dantes Göttliche Komödie beziehen. Zugespitzt lässt sich das Gedicht als reflektierender Umgang mit einer Midlife Crisis verstehen, an dessen Ende eine mögliche, versteckte Katharsis steht.

 

Wales (Großbritannien), Mitte des 20. Jh.s

Das letzte besprochene Gedicht, „Notes On The Art Of Poetry“, stammt von dem walisischen Schriftsteller, Dichter und Essayisten Dylan Thomas (1914-1953). Obwohl Thomas mit seinen Texten beruflich sehr erfolgreich war, schaffte er es nicht, sich von seiner Alkoholsucht zu lösen, für die er den Großteil seines Geldes ausgab. Er verstarb schon früh, vermutlich an einer nicht auskurierten Lungenentzündung.
In „Notes On The Art Of Poetry“ berichtet das lyrische Ich von der Lebendigkeit und Unmittelbarkeit literarischer Texte, die in seiner Wahrnehmung die zweidimensionalen Grenzen des Buches überschreiten und zu eigenem, eigenständigem Leben erwachen, das das zunächst noch ungläubig staunende lyrische Ich in seinen Bann zieht. „I could never have dreamt that there were such goings-on/ in the world between the covers of books“, resümiert es.

Wer selbst schon einmal ganz in einer Geschichte oder einem Gedicht versunken ist und dabei alles andere um sich herum vergessen hat, der wird dem vermutlich nur zustimmen können: Die Literatur birgt ganze neue, wunderbare Welten, die es im Augenblick des Lesens zu erfahren gilt und die das eigene Weltbild für immer verändern können.